Vor etwas mehr als 100 Tagen habe ich Dresden verlassen und bin nach Heidenau gezogen. Meine ersten Erkenntnisse vom Abenteuer Kleinstadt gibt es in diesem Beitrag.
Das Ziel lag nur wenige Kilometer entfernt und doch sind die Unterschiede zwischen Großstadt und Kleinstadt spürbar (im positiven wie negativen Sinne). In diesem längeren Beitrag möchte ich den bekannten 100-Tage-Meilenstein nutzen und zurückblicken. Wie wohnt es sich in Heidenau? Was ist mir besonders im Gedächtnis geblieben? Einen wichtigen Teil nimmt hierbei der Blick auf die Mobilität vor Ort (dem Kernthema dieses Blogs) ein – wie ist die aktuelle Lage in Heidenau?
Radfahren ist möglich, aber gefährlich
Ein Mysterium ist für mich der Radverkehr entlang der Kleinstadt-Autobahn (S172). Bin ich mit dem PKW unterwegs ist eine zweispurige Straße ohne frage unglaublich bequem. Der Verkehr fließt zwar nicht zwingend besser aber im Kopf fährt es sich entspannter. Doch will ich für den Wocheneinkauf die Strecke zwischen Lidl und Real mit dem Fahrrad zurücklegen, so brauche ich länger, lebe gefährlicher oder riskiere sogar mein Leben.
Schaut man sich den zweispurigen Teil der S172 (zwischen Lidl und Netto) an, so fällt schnell auf das hier wenig Platz ist. Für Fahrräder ist hier weder auf der Straße noch dem Fußweg genug Fläche. Da es leider keine Alternativen für Radler gibt und die Straße (gerade in den Stoßzeiten) sehr stark frequentiert ist, fahren 90% der Radler auf dem schmalen Fußweg mit teils brenzligen Situationen.
Hier wäre eine Fahrradstraße im Verlauf der Martin-Luther-Straße & Werner-Seelenbinder-Straße eine wünschenswerte Lösung. Dies würde die Fahrräder vom KFZ-Verkehr separieren und zugleich die Fußgänger am Leben lassen. Gerade im Blick auf die Grundschule und das Sportforum sowie den neuen Skatepark wäre das eine echte Erleichterung für jüngere Altersgruppen. Ähnlich ist man mit Erfolg auch in Dresden vorgegangen. Im Stadtteil Striesen wurden ruhigere Nebenstraßen zur Fahrradstraßen umgewidmet und erst kürzlich eröffnet.
Die Kleinstadt-Autobahn
Folgt man der Hauptstraße weiter, so öffnet sich diese hin zu einer Art Kleinstadt-Autobahn (im Blick auf die Anzahl der Fahrspuren). Vierspurig geht es vom Lidl bis zum Real. Auf einer der beiden Straßenseiten ist der Fußweg etwas breiter und für Radfahrer freigegeben (baulich in keinem guten Zustand aber nutzbar). Da auf der Gegenseite der entsprechende Radstreifen fehlt, wechselt ein Teil der Radler ab Höhe Lidl die Seite (was bis zu 10 Minuten und länger dauern kann dank der Schaltzeiten der Ampel). Der Rest nutzt weiter den Fußweg.
An der Ehrlichtmühle verschwindet dann der zweite Fußweg komplett und Fußgänger sowie Radfahrer tummeln sich in beide Richtungen auf einem viel zu schmalen Fußweg, während die PKWs auf vier Spuren mit Tempo 60 und mehr fahren können. Besonders brenzlig wird es an der Engstelle unter der Eisenbahnbrücke, wo sich vor geraumer Zeit die schlecht platzierte Werbetafel löste und mich nur mit Glück verschonte. Man merkt das dieser Abschnitt aus der Zeit gefallen ist und noch aus der Bundesstraßen-Epoche stammt. Platz für Veränderung wäre hier vorhanden. Nur leider habe ich bis heute nicht herausfinden können, ob dies auch gewollt oder gar schon in Planung ist.
Es fährt die A nach nirgendwo
Besonders positiv hervorzuheben sind meiner Meinung nach die Bushaltestellen in Heidenau. Zu einem sehr großen Teil sind diese modern, sauber und in gepflegtem Zustand. Man könnte fast auf den Gedanken kommen, die Gemeinde möchte den ÖPNV attraktiv und bürgernah machen.
Doch leider folgt auf eine schöne Haltestelle noch kein guter Nahverkehr. Während die Linie H/S (von der ungewöhnlichen Namensgebung mal abgesehen) eine gute Figur abgibt, da diese aller 30 Minuten und täglich von Pirna nach Dresden (entlang der S172) verkehrt, gibt es da auch seltsame Konstrukte wie die Linie A. Ich weiß das es noch eine Handvoll anderer Linien gibt, die Heidenau streifen und teils besser funktionieren, jedoch ist mir die Linie A besonders negativ im Gedächtnis geblieben und bekommt daher einen eigenen Abschnitt.
Unter dem Deckmantel des Stadtverkehrs muss man bei dieser Linie berücksichtigen, dass Sie möglichst viele Menschen (vermutlich Ältere und Schüler) durch Heidenau befördern soll. Doch eine solch unstrukturierte Konstruktion wie die Linie A habe ich selten gesehen. Bis heute ist es mir nicht gelungen wirklich eine Linienführung zu erkennen. Abhängig von der Tageszeit gibt es Kernhaltestellen die „immer“ bedient werden, Haltestellen die nur ein oder zwei mal am Tag angesteuert werden und eine komplett losgelöste Route für den Schülerverkehr die auch als Linie A ausgewiesen wird, jedoch mehr einer separaten Linie gleicht.
Einen durchdachten Takt (10-minütig, 30-minütig oder stündlich) gibt es hier nicht. Zwischen fünf Uhr früh und 17 Uhr abends fährt schon ein Bus – irgendwie, nach irgendwo und irgendwann. Heißt, wer die Linie A nutzen will muss vorher studiert haben und gut im Voraus planen. Will man am Wochenende oder an Feiertagen mal den Ortsverkehr nutzen, um z.B. vom Bahnhof Heidenau Süd aus nach Dohna zu kommen, so hat man auch ein Problem: Die kleine Linie A verkehrt nur unter der Woche.
Teilen bewegt (oder auch nicht)
Was ich besonders in meiner Zeit in Dresden zu schätzen gelernt habe waren die MOBI-Punkte und das Sharing-Konzept. Egal wann und wo ich im Stadtgebiet war, es standen immer Autos verschiedener Größen, Fahrräder oder eScooter an zentralen Sammelpunkten bereit zum ausleihen. Die Multimobilität wird durch solche Konzepte erst richtig erlebbar und kann auch ein guter Ersatz für unrentablen Linienverkehr an Wochenenden (siehe die Linie A) sein – wenn es den ein solches Angebot gäbe.
In den beiden Nachbarstädten Dresden und Pirna gibt es gute Angebote die von den Einwohner auch angenommen werden. Schade finde ich, dass Heidenau diese räumliche Nähe nicht nutzt und sich in das Angebot der Nachbarn mit einklinkt. Es würde vielen Menschen helfen von A nach B zu kommen, auch ohne eigenes Auto oder Lastenrad.
Egal ob Rufbus, autonomes Shuttle, Leihfahrräder oder Car-Sharing: Ansätze gibt es viele, doch es braucht auch Motivation diese umsetzen zu wollen. Erste zaghafte Ansätze sind bereits vorhanden mit zwei Ladesäulen für Elektroautos im Ort, beide zentral gelegen mit Übergangsmöglichkeit zum ÖPNV. Hier würde es sich lohnen weiter anzusetzen und ein Konzept für multimobiles Reisen zu etablieren.
(K)ein Fußweg an der Müglitz
Besonders nach der Arbeit habe ich die beschauliche Müglitz zu schätzen gelernt. Der kleine Fluss zieht sich entspannt durch Heidenau, führt eigentlich immer Wasser und ist umgeben von viel Grün. Zwischen Sportforum und Ortsausgang Heidenau gibt es sogar einen begleitenden Fußweg mit schattigen Plätzen und Bänken – perfekt für eine kurze Auszeit.
Doch warum wurde dieser Fußweg an der Müglitz nicht fortgeführt. Flussabwärts hört der Müglitz-Fußweg an der S172 auf (ohne Möglichkeit die vier Spuren direkt zu über- bzw. unterqueren). Der andere Abschnitt ist wohl durch ein früheres Hochwasser unterbrochen und dank seiner Lage an der Ortsgrenze zu Dohna nie wiederhergestellt worden. Es ist schade, dass dieses Kleinod nicht weiter entwickelt und für den Fußverkehr zugänglich gemacht wird. Ein durchgehender Weg vom Elbradweg bis Ortseingang Dohna wäre ein echter Zugewinn und ein toller Ort zum abschalten.
Blauer Himmel in Heidenau
Nach vielen negativen Dingen möchte ich aber auch die schönen Seiten von Heidenau nicht zu kurz kommen lassen. Auch wenn es auf den folgende Abschnitt vielleicht etwas kürzer erscheint (da ich nicht zu sehr ins Detail gehen muss, um die Situation zu erklären), so überwiegt doch die Zahl der positiven Punkte auf meiner Liste.
Der wichtigste gleich zu Beginn: Heidenau will sich verändern und verändert sich auch. Diese Tatsache ist mir in den ersten 100 Tagen als Neu-Heidenauer mehrfach aufgefallen. In Dresden (besonders in den Randlagen) war kaum Innovation oder Veränderung zu spüren. Doch in einer Kleinstadt ist das anders. Man merkt, dass das Rathaus Projekte gezielter anpacken kann und die Veränderung direkter beim Bürger ankommt.
Das sind Sachen wie etwa ein gut aufgestelltes Bürgerbüro, wo ich ganz ohne Termin oder Wartezeit meine Ummeldung vornehmen konnte. Rein und raus in wenigen Minuten (daran ist in Dresden nicht zu denken). Auch viel mir das ankommen leicht, da die nette Mitarbeiterin im Bürgerbüro gleich ein Willkommenspaket parat hatte und das Material mir auch wirklich gut geholfen hat.
Heidenau ist vielseitig
Auch das Stadtzentrum ist ein echter Augenschmaus. Vom zentralen Marktplatz aus gibt es unzählig viele Einkaufsmöglichkeiten die in 10-15 Minuten zu Fuß erreichbar sind. Die verkehrsberuhigte Ernst-Thälmann-Straße erinnert an einen Shared-Space und ist ein wirklich schöner Ort zum flanieren geworden. Hier gibt es zwar mehr Ärzte als Einzelhandel, aber dennoch gefällt mir dieser Bereich sehr. Generell macht das Zentrum von Heidenau, aber auch die Randlagen einen gepflegten Eindruck. Abgesehen von der Dresdner Straße (die aber ebenfalls schon bald saniert wird) sind alle Wege in einem sehr guten Zustand und auch umgebenden die Häuser (bis auf ganz wenige Ausnahmen) schön hergerichtet.
Ebenfalls ein wichtiger Punkt ist die Vielzahl an kleinen Grünflächen, Parks und Spielplätzen in der Gemeinde. Egal wohin man geht, ein grünes Fleckchen mit Bank ist schnell gefunden. Die Stadt lädt regelrecht zum rausgehen und entdecken ein, da jede Bereich seinen eigene Charakter hat und nichts wirklich gleich ist. Viel grün und auch viel Sonne gibts im Albert-Schwarz-Bad, das dank der Schwimmbad-eigenen Langos-Bude mein Herz erobern konnte. Viel Platz zum sonnen, großzügige und gepflegte Wasserflächen sowie Langos, was will man mehr in einem Freibad. Ebenfalls überraschend waren zwei Neueröffnungen, die in meiner Zeit in Heidenau vorgenommen worden. Zum einen die Outdoor-Fittnessanlage, welche kostenfrei genutzt werden kann und ein großzügiger Skatepark der sich nicht vor jenen in Dresden verstecken muss.
Kommunikation die ankommt
Wie wichtig Kommunikation zwischen Stadtverwaltung und Einwohnern ist, war mir zu meiner Zeit in Dresden nie wirklich bewusst. In Dresden gab es ab und zu mal ein Amtsblatt, das irgendwo beim Bäcker auslag und einen Newsletter der gefühlt jede Straßensperrung als E-Mail einzeln gesendet hat (teils 10-15 am Tag). Doch erst in Heidenau ist mir klar geworden, wie einfach und effizient eine eigene Stadtzeitung sein kann.
Jeden Monat bekommen alle Einwohner das „Heidenauer Journal“ kostenfrei in den Briefkaste. Es ist eine Mix aus einem Amtsblatt (mit allen beschlossenen Änderungen, Satzungen, etc.) und einer Lokalzeitung. Inhaltlich ist diese sogar echt gut gemacht und ich schaue da gern rein. Mit jeder Ausgabe stehen andere Themen im Fokus, es wird auf Neuerungen in der Stadt eingegangen und auch mal ein Blick in die Geschichte geworfen.
Insgesamt ein wirklich stimmiges Konzept das (in meinen Augen) aufgeht und wofür ich sehr dankbar bin. Ich muss nicht mehr drauf hoffen das die großen Regionalmedien so großherzig sind und die Lokalnachrichten ohne Paywall veröffentlichen sondern bekomme die Informationen kostenfrei aus erster Hand.
Die Zukunft im Blick
Am Ende lässt sich mein Fazit zu „100 Tagen Heidenau“ doch sehr optimistisch zusammenfassen. Klar ist gerade das Thema Mobilität noch Ausbaufähig. Doch solche Prozesse brauchen Ihre Zeit und die Gemeinde zeigt, dass sie etwas bewegen will.
Der Weg zeigt klar in Richtung Zukunft mit Fokus auf Freizeitgestaltung und Familien. Das spürt man in vielen Bereichen der Stadt und ist wirklich positiv hervorzuheben. Heidenau macht es einem leicht sich einzuleben und auch aktuelle Themen wie Ladesäulen und Fernwärme werden in angepackt (im Rahmen des möglichen). Es ist eine lebendige Gemeinde wo ich mich wirklich wohl fühle. Es bleibt zu Hoffen das der eingeschlagenen Weg weiter verfolgt wird ohne die aufgeführten Baustellen wie etwa die fehlende Infrastruktur für Radverkehr aus den Augen zu verlieren.