Die Herausforderungen des Nahverkehr im ländlichen Raum

Ein Ausschnitt aus dem Nahverkehrs-Angebot in Bannewitz

In einer Zeit, in der Klimawandel und Mobilitätswende in aller Munde sind, richten sich die Blicke oft auf die großen Städte. Doch wie sieht es mit dem Nahverkehr abseits der urbanen Zentren (im ländlichen Raum) aus? Am Beispiel der Gemeinde Bannewitz, die unmittelbar an Dresden grenzt, lässt sich exemplarisch aufzeigen, welche Herausforderungen der Nahverkehr im Speckgürtel von Dresden zu bewältigen hat.

Eingeklemmt zwischen Stadt und Land

Wer in einer Großstadt wie Dresden aufgewachsen ist, nimmt den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) als selbstverständlich wahr. Busse und Straßenbahnen fahren im 10- oder 20-Minuten-Takt, auch an Wochenenden und in der Nacht. Das Netz ist dicht, die Fahrpläne sind leicht verständlich, und selbst in den Randlagen gibt es einen verlässlichen Service. Doch nur wenige Kilometer außerhalb der Stadtgrenzen ändert sich dieses Bild drastisch.

Bannewitz, mit seinen rund 11.000 Einwohnern, liegt zwar in unmittelbarer Nähe zu Dresden, gehört aber bereits zum Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Diese geografische Lage zwischen Großstadt und ländlichem Raum bringt besondere Herausforderungen mit sich. Einerseits profitiert die Gemeinde von der Nähe zu Dresden, andererseits muss sie mit den typischen Problemen des ländlichen Raums kämpfen – insbesondere im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs.

Auf den ersten Blick hat Bannewitz ein gutes Netz aus Buslinien und Haltestellen.
Auf den ersten Blick hat Bannewitz ein gutes Netz aus Buslinien und Haltestellen.

Das aktuelle ÖPNV-Angebot in Bannewitz

Auf den ersten Blick scheint das Busangebot in Bannewitz gar nicht so schlecht zu sein. Alle Ortsteile sind angebunden, es gibt Verbindungen nach Dresden, Freital und in die umliegenden Gemeinden. Die Haltestellen sind größtenteils zu Fuß gut erreichbar, und es existieren sogar einige Umsteigemöglichkeiten. Doch bei genauerer Betrachtung offenbaren sich gravierende Mängel:

  1. Fokus auf den Schülerverkehr: Der Großteil des Busverkehrs ist auf die Bedürfnisse von Schülern ausgerichtet. Die Hauptverkehrszeiten beschränken sich auf den frühen Morgen und den Nachmittag. In den Schulferien wird das Angebot drastisch reduziert.
  2. Geringe Taktung: Außerhalb der Stoßzeiten verkehren die Busse oft nur ein- bis zweimal pro Stunde. Dies macht spontane Fahrten oder flexible Terminplanung nahezu unmöglich.
  3. Eingeschränkter Wochenend- und Feiertagsverkehr: An Samstagen, Sonntagen und Feiertagen ist das Angebot stark ausgedünnt. Einige Linien verkehren gar nicht.
  4. Komplexe Linienführung: Die Buslinien sind oft verschachtelt und folgen keinem einheitlichen Schema. Dies macht die Nutzung für Gelegenheitsfahrer schwierig.
  5. Fehlende Nachtverbindungen: Ein durchgängiger Nachtverkehr, wie er in Dresden selbstverständlich ist, existiert in Bannewitz nicht.

Einzig die überregionale Linie 360, die als „Plusbus“ konzipiert ist, sowie die Linie 68 der Dresdner Verkehrsbetriebenach Goppeln bieten ein einigermaßen verlässliches und regelmäßiges Angebot. Diese Linien decken jedoch bei weitem nicht alle Ortsteile und Mobilitätsbedürfnisse ab.

Eine erzwungene Abhängigkeit vom Auto

Die Gründe für die unbefriedigende Situation des Nahverkehr im ländlichen Raum sind komplex und reichen weit über die Gemeindegrenzen hinaus. Zunehmende Einsparungen, Kürzungen und veränderliche Rahmenbedingungen haben über die Jahrzehnte eine Abhängigkeit der Einwohner vom Auto erzwungen – was auch mein Beispiel von Bannewitz zeigt:

  1. Historische Entwicklung: Die Einstellung der Eisenbahnverbindung (von Freital über Bannewitz nach Possendorf) zu DDR-Zeiten und die fehlende Entwicklung alternativer Schienenverbindungen nach der Wende haben dazu geführt, dass Bannewitz heute ausschließlich auf Busverkehr angewiesen ist.
  2. Topografische Herausforderungen: Die Höhenunterschiede zwischen Dresden und Bannewitz machen den Bau neuer Schienenverbindungen kostspielig und kompliziert. Im Gegensatz Weixdorf, Radebeul und Gompitz hat Bannewitz bis heute keine Anbindung an die Dresdner Straßenbahn.
  3. Zersiedelte Struktur: Die Verteilung der Einwohner auf mehrere kleine Ortsteile erschwert eine effiziente ÖPNV-Planung. Gleiches gilt im übrigen für den Radverkehr in Bannewitz (mehr dazu in diesem Beitrag).
  4. Knappe Budgets und steigende Kosten: Die finanziellen Mittel für den ÖPNV sind begrenzt, was innovative und umfassende Lösungen erschwert. Personal- und Betriebskosten im ÖPNV steigen im gleichen Schritt kontinuierlich, was bei unveränderten Geldern zu Angebotskürzungen führt.
  5. Fokus auf Wirtschaftlichkeit und fehlende politische Weitsicht: In den vergangenen Jahrzehnten wurde der ÖPNV zunehmend unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet, anstatt ihn als Daseinsvorsorge zu begreifen. Auf Bundes- und Landesebene mangelt es an einer ganzheitlichen Verkehrsplanung, die auch die Bedürfnisse des ländlichen Raums berücksichtigt.
Spätestens am Wochenende bleibt nicht viel vom guten Busnetz übrig
Spätestens am Wochenende bleibt nicht viel vom guten Busnetz übrig.

Was wir von Bismarck lernen können

In diesem Zusammenhang lohnt sich ein Blick zurück in die Geschichte. Otto von Bismarck, der erste Reichskanzler des Deutschen Reiches, hatte bereits im 19. Jahrhundert erkannt, welche zentrale Bedeutung ein funktionierendes Verkehrssystem für die Gesellschaft hat.

Bei der Recherche für diesen Beitrag stieß ich mehrfach auf ein Zitat von Ihm, das auch heute noch hochaktuell ist: „Eisenbahnen sind in erster Linie nicht zur Gewinnerzielung bestimmt, sondern dem Gemeinwohl verpflichtete Verkehrsanstalten. Sie haben entgegen dem freien Spiel der Kräfte dem Verkehrsinteresse des Gesamtstaates und der Gesamtbevölkerung zu dienen.“

Dieses Prinzip lässt sich auch heute noch auf den öffentlichen Personennahverkehr übertragen. Es verdeutlicht, dass der ÖPNV nicht primär unter Rentabilitätsaspekten betrachtet werden sollte, sondern als essenzieller Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Um die Situation in Bannewitz und vergleichbaren Gemeinden zu verbessern, sind jedoch mutige und innovative Ansätze gefragt:

  1. Erhöhung der ÖPNV-Budgets: Eine deutliche Aufstockung der finanziellen Mittel für den Nahverkehr im ländlichen Raum ist unerlässlich.
  2. Einführung von Mindestbedienstandards: Gesetzlich verankerte Mindeststandards für die ÖPNV-Versorgung könnten dafür sorgen, dass auch in ländlichen Regionen ein Grundangebot gewährleistet ist.
  3. Flexible Bedienformen: Der Ausbau von Rufbussen, On-Demand-Shuttles oder perspektivisch autonomen Fahrzeugen könnte die Lücken im klassischen Linienverkehr schließen.
  4. Intermodale Vernetzung: Eine bessere Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel – etwa durch Bike+Ride-Anlagen an Bushaltestellen oder Carsharing-Angebote – könnte die Attraktivität des ÖPNV steigern.
  5. Regionale Kooperation: Eine engere Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und mit der Stadt Dresden könnte Synergien schaffen und das Angebot verbessern.

Die Notwendigkeit eines Umdenkens

Der Fall Bannewitz zeigt exemplarisch, vor welchen Herausforderungen der Nahverkehr im ländlichen Raum steht. Es wird deutlich, dass die bisherigen Ansätze nicht ausreichen, um eine attraktive und zukunftsfähige Mobilität abseits der Großstädte zu gewährleisten.

Um die Verkehrswende auch im ländlichen Raum zum Erfolg zu führen, braucht es ein grundlegendes Umdenken in der Verkehrspolitik. Der ÖPNV muss wieder stärker als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge begriffen werden – ganz im Sinne Bismarcks. Nur wenn es gelingt, auch in Gemeinden wie Bannewitz ein attraktives und verlässliches ÖPNV-Angebot zu schaffen, kann in meinen Augen die Abhängigkeit vom Auto reduziert und eine nachhaltige Mobilität für alle Bevölkerungsgruppen ermöglicht werden.

Die Herausforderungen sind groß, aber die Chancen, die sich aus einer Verbesserung des ÖPNV ergeben, sind es auch: Mehr Lebensqualität, besserer Klimaschutz und eine gerechtere Teilhabe aller Bürger am öffentlichen Leben. Es liegt an der Politik und der Gesellschaft, die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen.

Wer ohne Auto flexibel sein möchte, sollte in die nähe dieser Linien mit 30-Minuten-Takt ziehen.
Wer ohne Auto flexibel sein möchte, sollte in die nähe dieser Linien mit 30-Minuten-Takt ziehen.

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