Wer heute auf dem Elberadweg durch Heidenau fährt, ahnt kaum, dass nur wenige Meter entfernt unter Gras und Gestrüpp ein bedeutendes Stück Industriegeschichte verborgen liegt. Zwischen Malzfabrik und Hafenstraße ragen noch ein paar Sandsteinquader hervor – die letzten Überreste einer Eisenbahnbrücke, die einst Teil der Elbgeländebahn war. Diese Nebenbahn prägte fast ein Jahrhundert lang das industrielle Gesicht der Stadt und ist heute kaum noch bekannt.
Die Lebensader der Heidenauer Industrie
Die Entstehung der Elbgeländebahn geht auf das Jahr 1915 zurück, als sieben lokale Unternehmen und Gemeinden – darunter die Papierfabrik Krause & Baumann, die Gemeinden Mügeln und Heidenau sowie weitere Industriebetriebe – eine Gesellschaft gründeten, um die Finanzierung einer eigenen Güterbahn zu sichern. Ziel war es, die wachsenden Fabriken direkt an die Zugstrecke Dresden-Prag anzubinden.
Der Bau begann nach dem Ersten Weltkrieg im August 1919 und war im März 1921 abgeschlossen. Die Strecke war 4,337 Kilometer lang, normalspurig und für die damalige Zeit technisch anspruchsvoll: Mit einer maximalen Neigung von 12,5 ‰ und einem Mindestradius von 180 Metern führte sie als Anschlussbahn in einem Bogen um den Ortskern von Heidenau bis zur Papierfabrik am östlichen Stadtrand. Der Betrieb wurde von der Deutschen Reichsbahn übernommen. Die Bahn diente ausschließlich dem Güterverkehr und verband wichtige Betriebe wie die Papierfabrik Heidenau, das Betonwerk Sporbitz, das Gaswerk und die Harzleimfabrik Hoffmann & Meienhofer mit dem überregionalen Schienennetz.
Niedergang, Rückbau und neue Perspektiven
Mit dem Niedergang der DDR-Industrie nach 1990 und der zunehmenden Verlagerung des Güterverkehrs auf die Straße verlor die Elbgeländebahn rasch an Bedeutung. Das Betonwerk ging 1994 in die Insolvenz, die Papierfabrik stellte auf Straßentransport um und andere Betriebe schlossen. Der letzte größere Güterkunde war die Malzfabrik, wenige Meter von der Papierfabrik entfernt. Eine Führerstandsmitfahrt von der Malzfabrik bis zum Bahnhof Heidenau gibt es in diesem Video. Am 5. November 2004 wurde der Güterverkehr offiziell eingestellt, ab 2007 begann der Rückbau der Gleisanlagen. Heute sind nur noch wenige Relikte sichtbar: die Sandsteinfundamente der Brücke über die Hafenstraße, verwachsene Bahndämme entlang der Müglitz und einzelne Gleisreste bei ehemaligen Anschlussstellen.
Doch die Geschichte der Elbgeländebahn Heidenau ist noch nicht ganz zu Ende. Die Stadt plant, Teile der ehemaligen Trasse für die Naherholung und als Rad- und Wanderweg zu nutzen. Das ist dringend notwenig, denn eigene Fahrradwege abseits der Elbe gibt es in Heidenau fast nicht. Da weite Teile der ehemaligen Strecke bis heute unverbaut sind, bietet sich eine hervorragende Möglichkeit einer direkten Wegverbindung auf der ehemaligen Bahnanlage rund um Heidenau an.
Ob und wann die Industriegeschichte für die Öffentlichkeit erlebbar und befahrbar wird, ist jedoch unklar. Eine Reaktivierung der Elbgeländebahn Heidenau für Züge ist nahezu ausgeschlossen und auch in Ferner Zukunft nicht mehr realistisch. Mit viel Glück entsteht jedoch eine spannende Zeitreise durch Heidenaus Industriegeschichte für Fahrradfahrer und Wanderer.
Die Strecke 20 Jahre nach dem letzten Zug
Im Rahmen meiner Spurensuche habe ich über mehrere Monate verteilt die komplette Strecke versucht abzulaufen, um ein Bild von den 4,337 Kilometern zu bekommen. In der nachfolgenden Streckengrafik sind 19 Foto-Punkte markiert, die eine bessere Einordnung der nachfolgenden Bilder ermöglichen. Los geht es beim Endpunkt der Strecke am Güterbahnhof der Papierfabrik.

1 | Anschlussstelle Papierfabrik
Los geht die Bestandsaufnahme an der Papierfabrik. Die hiesige Anschlussstelle, welche gleichzeitig das Streckenende war, ist noch immer erhalten. Im Boden gibt es zahlreiche Gleise, Gleisreste und auch die Güterbahnsteige sind noch als solche erkennbar.


2 | Eisenbahnüberführung Hafenstraße
Neben den Widerlagern der ehemaligen Brücke über die Hafenstraße sind noch eine alte Mauer und diese freistehende Laterne erhalten. Wie die Stelle früher aussah gibt es hier zu sehen.




3 | Eisenbahnüberführung Müglitz
Von der Brücke über die Müglitz ist nichts mehr zu erkennen. Das Bauwerk wurde im Zuge des Hochwasserschutzes entfernt. Auch die Widerlager und Sandsteine sind entweder verschwunden oder bis zur Unkenntlichkeit zugewachsen. Da auf der anderen Seite des Flusses die Malzfabrik sich ausgebreitet hat, ist eine Weiterführung des angedachten Radweges bis zur Hafenstraße / Papierfabrik aktuell nicht möglich. Wie die Brücke früher aussah gibt es hier zu sehen.

4 | Eisenbahnüberführung Mühlgraben
Die ehemalige Eisenbahnüberführung über den Mühlgraben ist einem Bauwerk zum Hochwasserschutz gewichen und der Bahndamm vom neuen Park „Rote Mühle“ bis zur „Elbstraße“ geschottert für Fußgänger begehbar. Künftig könnte der geplante Radweg auf der Elbgeländebahn hier am Park beginnen und bis zur Dresdner Straße führen.


5 | Bahnübergang Elbstraße

6 | Bahnübergang Pillnitzer Straße
Rund um den Bahnübergang Pillnitzer Straße ist noch auf vielen Teile der originale Schotter und Schwellenreste vorhanden, jedoch weitestgehend unzugänglich aufgrund von Brombeeren und Bäumen. Auch hier ist der Bahndamm noch samt Schotter erhalten, jedoch komplett von Bäumen zugewachsen.



7 | Anschlussstelle Gaswerk Heidenau
Der letzte Prellbock und eine der letzten erhaltene Laderampen befinden sich bei der ehemaligen Anschlussstelle des Gaswerks, unweit vom Bahnübergang Pillnitzer Straße entfernt.


8, 9 | Bahndamm
Der Bahndamm im Hintergrund ist noch vollständig erhalten, jedoch gänzlich von Bäumen und Sträuchern überwachsen. Ein begehen ist aktuell nicht möglich, weshalb ich Bilder von weiter unten aufnehmen musste.



10, 11 | Bahnübergang Zschierener Straße



12, 13 | Gleisbogen




14, 15 | Bahnübergang Dresdner Straße
Die direkte Verbindung von der Dresdner Straße zum Gleisbogen wurde durch ein Firmengelände überbaut, jedoch nicht komplett verbaut, da es sich scheinbar um eine Art Zufahrt / Parkplatz handelt. Bild vom Standort 14 zeigt die rückwärtig Ansicht vom Ende des Gleisbogens und Standort 15 (zweites Bild der Galerie) die Ansicht von der Dresdner Straße. Eine Öffnung im Zuge des angedachten Radweges wäre augenscheinlich noch möglich. Auch auf der anderen Seite der Dresdner Straße mit Blick Richtung Bahnhof Heidenau (drittes Bild der Galerie) ist ein Gebäude der gleichen Firma auf dem ehemaligen Streckenabschnitt platziert. Die Wiese und die Lieferzufahrt sind jedoch so gestaltet, dass Reaktivierungen bzw. Radweg-Nutzung des ehemaligen Gleiskörpers theoretisch denkbar sind.



16, 17 | Anschlussstelle Elaskonwerk Dresden / Plattenwerk Dresden


18, 19 | Streckenanfang
Von den Weichen der Elbgeländebahn am Streckenbeginn existieren heute nur noch die Schwellenreste. Überlebt hat jedoch der Abzweig zum Tanklager, welcher immerhin noch freigeschnitten und scheinbar gelegentlich genutztem Zustand ist.



Bilder © kurz-gereist.de

